1. Bedeutung und allgemeine Einordnung
Das am 20. Juli 2022 vom bayrischen Landtag beschlossene Digitalgesetz beinhaltet im Kapitel 2 (Art. 8 – 15) Digitale Rechte und Dienstleistungen. So wird in Art. 10 den Bürgerinnen und Bürgern, sowie juristischen Personen, das Recht auf digitale Selbstbestimmung eingeräumt.
Digitale Selbstbestimmung bezeichnet die Befähigung zu einem eigenständigen, eigenverantwortlichen und allein nach dem eigenen Willen ausgerichteten Umgang mit digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien. Dazu zählen die Punkte Kompetenz, Informiertheit, Werte, Wahlmöglichkeiten (Einflussnahme), Freiwilligkeit, Willensbildung und Handlung.
Ein weiterer Fachbegriff, auf welchen sich digitale Selbstbestimmung stützt, ist die „informationelle Selbstbestimmung“. Darunter versteht man die Rechte, Möglichkeiten und Fähigkeiten einer Person, grundsätzlich selbst über Preisgabe, Sammlung und Verwendung personenbezogener Daten und Informationen zu bestimmen, sowie Kontrolle über ihr digitales Double zu haben. Deshalb wird die informationelle Selbstbestimmung in die digitale Selbstbestimmung mitaufgenommen.
In Bezug auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, hat jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Die Kopplung dieser beiden Argumente veranschaulicht die Wichtigkeit der autonomen Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung auch im Rahmen digitaler Dienste. Aus diesem Grund fokussiert sich Art. 10 des BayDiG auf diese Selbstbestimmung in der digitalen Dimension des Lebens, weshalb der Artikel bestimmte Rechte der Bevölkerung sowie gewisse Pflichten des Freistaates artikuliert. Dementsprechend sind bestimmte Maßnahmen zur Gewährleistung der Nutzerfreundlichkeit digitaler Angebote angestrebt.
2. Gesetzesbegründung und Umsetzung des Begriffs
Dieser Artikel fokussiert sich, im Gegensatz zu der rein abwehrrechtlichen Haltung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, auf aktiv freie Entfaltung. So sollen Bürgerinnen und Bürger in der Lage sein, ihre digitale Kommunikation im privaten und geschäftlichen Bereich und vor allem bei Kontakt mit der Verwaltung gemäß ihrer eigenen Handlungszielen gestalten zu können.
Um sich eben dieser Rechte bewusst zu werden, wird nun das Wesentliche des Gesetzes herausgearbeitet: In Absatz 1 Satz 1 spricht sich der Freistaat Bayern explizit für die Förderung der digitalen Selbstbestimmung aus und stellt, um dies zu erreichen, nutzerfreundliche und barrierefreie Dienste zur Verfügung. So sollen digitale Dienste, also Dienstleistungen die von Behörden zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben in digitaler Form über ein Eingabegerät oder über allgemein zugängliche Netze, angeboten werden. Beispiele für digitale Dienste sind das Bayernportal oder im Sinne der Steuerverwaltung ELSTER. Dabei wird beachtet, dass Nutzerfreundlichkeit nicht im technokratischen Sinne, definiert von einem Digitallabor, sondern normativ zu begründen ist. Das bedeutet, dass sich die Erneuerungen in der digitalen Nutzerfreundlichkeit vor allem auf die grundlegenden Bedürfnisse der Bevölkerung stützen sollen. Besonders wichtig ist dem Freistaat deshalb die Bestimmung der nutzerfreundlichen und barrierefreien Dienste. Dabei sollen Menschen mit gewissen Einschränkungen ebenfalls in der Lage sein, autark handeln zu können. Durch technische Erleichterungen, wie z.B. dem Screen Reading oder dem Zusammenfassen der Informationen in leichter Sprache soll ihnen kein Nachteil entstehen. Vor allem innerhalb der Verwaltung bedarf es an technischen Erneuerungen und Vereinfachungen. Zur praktischen Wahrnehmung der Grundrechte soll jeder Einzelne, digitale Vorgänge nachvollziehen und das Bewusstsein seiner eigenen Rolle und den Auswirkungen schärfen können. Aus diesem Grund zielt auch Art. 12 des DSGVO darauf ab, Informationen in „präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in klarer und einfacher Sprache“ darzustellen. Denn die Aufgabe des Staates liegt darin, präventive organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen. All diese normativen Bestrebungen will der Freistaat durch eine nutzerfreundliche Ausgestaltung umsetzen. Um die Ziele zu erreichen, lädt Satz 2 zur Mitgestaltung ein. Vorstellbar wäre in diesem Sinne, das Verfassen von Zwischenberichten betroffener Personen, evtl. im Rahmen von Verbänden für Menschen mit Behinderungen oder durch persönliche Feedbackbereiche auf den Web-Seiten. Chancen und Schwierigkeiten bei der Umsetzung werden in der Ausarbeitung von Art. 2 Satz 2 Nr. 15 näher aufgezeigt. Man kann jedoch erkennen, dass Art. 10 die angestrebten Ziele aus Art. 2 Satz 2 Nr. 15 durch bestimmte Förderungsmaßnahmen realisieren will.
In Absatz 2 spricht sich der Freistaat für die Stärkung der Grundkompetenzen von natürlichen und juristischen Personen aus. Berichte deuten darauf hin, dass zur Umsetzung einer barrierefreien und nutzerfreundlichen Ausgestaltung, neben dem geeigneten Fachwissen der Mitarbeiter der Behörden auch die Priorisierung der Thematik nicht ausreichend gewährleistet ist. Um eben dies zu Verbessern fokussiert sich dieser Artikel des BayDiG auf jene Bemühungen, sodass jede Bürgerin und jeder Bürger seine Grundrechte entfalten kann und uneingeschränkte Anteilnahme an gewissen Diensten hat. Unabdingbar sind deshalb geeignete Qualifizierungsmaßnahmen auch im Bereich der Barrierefreiheit wie beispielsweise durch besonders nutzerfreundliche Oberflächendesigns zu garantieren. Deshalb setzt sich der Freistaat Bayern für die Verbesserung digitaler Grundkompetenzen, durch die Bereitstellung von geeigneten Informations- und Bildungsangeboten, vor allem in der Verwaltung ein.
3. Herausforderung und Kritik
Neben all den gut gemeinten Ansätzen in diesem Artikel gibt es dennoch berechtigterweise einige kritische Stimmen. Insbesondere Verbände, welche sich für die Interessen von Schwer- und Sehbehinderten einsetzen, machen auf einige Defizite aufmerksam.
Sachverständige bemängeln beispielsweise, dass die Formulierung des Gesetzes viel zu sehr Soll-Regelungen gleicht und sich als reine Absichtserklärungen kenntlich macht. Viele Verbänden und Beauftragte der Bayrischen Staatsregierung, welche sich für die Belange von Menschen mit Behinderungen stark machen, kritisieren das Vernachlässigen von Fristen. Notwendige und klar vorgegebene Anleitungen zur Umsetzung bleiben aus. Dem zu Folge ist Art. 10 nicht als individualrechtliche Anspruchsnorm formuliert, sondern lediglich als eine rein objektivrechtliche Bestimmung. Die allgemeine Resonanz zeigt, dass vor allem individualrechtliche Ansprüche auf barrierefreien Zugang zu öffentlichen Diensten festgeschrieben werden muss. Dass es sich bei betroffenen Menschen mit Behinderungen meistens um Personen in fortgeschrittenem Lebensalter handelt, wirft einen weiteren Kritikpunkt auf. Denn auch bei zureichender Barrierefreiheit bleibt oft das Know-How der Betroffenen aus. Deshalb fordert beispielsweise der Bayrische Blinden- und Sehbehindertenbund eine Schulung zur Nutzung der Dienste direkt nach Reha-Aufenthalten. Betroffene Personen sollen dadurch die Möglichkeit erhalten, sich mit unterschiedlichen Diensten vertraut zu machen, um im Sinne des Artikels ihre Selbstbestimmung wahrnehmen zu können.
Die Verbraucherzentrale Bayern weist auch darauf hin, dass eine Stärkung der digitalen Grundkompetenzen nicht nur im Verwaltungsbereich, sondern auch im Verbraucherschutz benötigt wird. So sollen beispielsweise Kompetenzen bei eigenen Datenschutzeinstellungen oder dem Onlinehandel gestärkt werden. Gemeint ist, dass sich User über ihre getroffenen Entscheidungen bewusst werden sollen, da das Bewegen im Internet mit der Freigabe und Weiterverarbeitung von persönlichen Informationen einhergehen kann.
Ein weiterer Kritikpunkt lenkt die Aufmerksamkeit auf eine andere Perspektive. Der Bayerische Beamtenbund weist drauf hin, dass eine zu aktive Mitgestaltung der Bevölkerung an die Entwicklung neuer digitaler Angebote gut durchdacht werden muss. Steigende Kosten und ein massiver Mehraufwand an Personal, Mittel und Zeit sei zu befürchten. Deshalb sei der Wunsch weiterer Mitgestaltungsmöglichkeiten nicht praxisnah. Vorgaben zur Einbeziehung der Nutzer mittels eines Digitalplans sollen somit einen angemessenen Rahmen bilden.
4. Fazit und Bewertung
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Art. 10 des BayDiG gute Ansätze zur Inklusion vor allem von Menschen mit Beeinträchtigungen schafft. Das bedeutet, dass insbesondere durch die artikulierte Barrierefreiheit im Bayerischen Digitalgesetz rechtliche Grundvoraussetzungen für die Selbstbestimmung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen geschaffen wurden. Art. 10 des Bayerischen Digitalgesetzes begründet demnach konsequente Ansprüche auf Qualifizierung, Fort- und Weiterbildung insbesondere auf Seiten der Verwaltungsbediensteten. Dennoch werden genaue Vorstellungen bezüglich der konkreten Umsetzung zu wenig herausgearbeitet, sodass es eher nach vagen Wünschen als nach aktiver Anpassung aussieht.
Digitale Selbstbestimmung ist ein elementares Recht, welches eng an die Entfaltung weiterer Grundrechte haftet. Deshalb ist eine Umsetzung und Ermöglichung der Nutzung besonders für digitale Dienste innerhalb der Verwaltung eine unabdingbare Voraussetzung für ein chancengerechtes Miteinander.